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Wie glaubwürdig ist das amerikanische Eintreten für Menschenrechte im Iran

0:10 - September 08, 2021
Nachrichten-ID: 3004711
Immer wieder aufs Neue spielen sich die USA als der Vertreter der Menschenrechte auf. Doch wie verhält sich dieser moralische Anspruch zur Politik der USA?

Ein Beitrag von Offenkundiges

In westlichen Ländern und Medien werden immer wieder angebliche Menschenrechtsverletzungen im Iran aufgegriffen und das Land deswegen an den Pranger gestellt. Wie glaubwürdig ist jedoch dieses Eintreten für die Menschenrechte im Iran?

Wer ist heute noch leichtgläubig genug, um die westliche Menschenrechtsrhetorik weiter für bare Münze zu nehmen? Denn es liegt doch auf der Hand, dass kein anderes Land die Menschenrechte seit dem Ende des 2. Weltkrieges so massiv verletzt hat wie die USA. So hat der Schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser darauf aufmerksam gemacht, dass „kein anderes Land seit 1945 so viele andere Länder bombardiert hat wie die USA. Kein anderes Land hat seit 1945 in so vielen anderen Ländern der Welt die Regierung gestürzt wie die USA. Kein anderes Land der Welt hat seit 1945 so viele verdeckte Kriege geführt wie die USA. Kein anderes Land der Welt unterhält in so vielen anderen Ländern Militärstützpunkte, die oft von besetzten Ländern abgelehnt werden.“[1] Prof. Rainer Mausfeld von der Universität Kiel zufolge sind die USA seit 1945 „durch Angriffe auf andere Länder für den Tod von 20 bis 30 Millionen Menschen verantwortlich.“ Er wirft die Frage auf, warum die Menschheit sich angesichts dieser Ungeheuerlichkeit der Verbrechen immer noch so verhält, als ob nie etwas passiert wäre: „Warum schweigen die Lämmer?“, fragt er, und liefert folgende Antwort: „Es bedarf in der medialen Darstellung dieser Verbrechen einer beträchtlichen Fragmentierung und einer radikalen Rekontextualisierung als ‚Kampf für Demokratie Menschenrechte‘, damit Verbrechen dieser Größenordnung nahezu unsichtbar werden. Obwohl all dies ausführlich dokumentiert ist, sind diese Verbrechen im öffentlichen Bewusstsein so gut wie nicht präsent.“[2]

Diese Verbrechen wurden und werden von US-amerikanischen Autoren deutlich benannt. So kam der Publizist William Blum bei seiner Untersuchung der völkerrechtswidrigen Kriege und verdeckten Operationen der USA zu dem Ergebnis, dass es auf dem Globus nur einen „Schurkenstaat“ geben würde – und das seien die USA selbst.[3] Sie schreckten und schrecken bei ihren völkerrechtswidrigen Kriegen und Umsturzversuchen vor nichts zurück – nicht vor dem Einsatz chemischer, biologischer oder atomarer Waffen und auch nicht vor der Zusammenarbeit bis hin zur Unterstützung mit Osama bin Laden (in Afghanistan), „Dschihadisten“ (in Afghanistan oder Syrien), Pinochet und anderen Militärdiktatoren in Südamerika oder Faschisten in der Ukraine. Den „Tonkin-Zwischenfall“, mit dem die USA den Vietnam-Krieg beziehungsweise die Bombardierung Nordvietnams begannen, inszenierten sie nach heutigem Kenntnisstand eindeutig selbst.[4] Daniele Ganser schreibt dazu:

„Präsident Johnson und andere Führer des US-Imperiums haben die UNO wiederholt durch Morde und Angriffskriege sabotiert. Den UNO-Sicherheitsrat oder die UNO-Generalversammlung haben die USA nur eingeschaltet, wenn es ihren Interessen entsprach. [...] Auch der Angriffskrieg gegen Vietnam erfolgte ohne UNO-Mandat. Dies war ein schweres Verbrechen. Nicht nur die amerikanische Bevölkerung, sondern die ganze Welt wurde damals durch Kriegslügen getäuscht und in die Irre geführt. Präsident Johnson begründete den Krieg mit der dreisten Behauptung, die Vietnamesen hätten die USA zuerst angegriffen und das US-Imperium schlage nur zurück. Präsident Johnson behauptete konkret, das US-Kriegsschiff Maddox, das vor der Küste Vietnams patrouillierte, sei von den Vietnamesen angegriffen worden. [...] Der Angriff auf die Maddox war eine Erfindung. [...] Die Geschichte war von Anfang an haltlos.“[5]

Die US-Bombardements, die massivsten Bombardierungen seit dem 2. Weltkrieg, kosteten etwa zwei bis drei Millionen Vietnamesen das Leben. Im Vietnamkrieg kam es zu zahlreichen Massakern der US-Armee an der vietnamesischen Zivilbevölkerung. Eines dieser Massaker, das Massaker von My Lai, gelangte durch Recherchen des US-amerikanischen Investigativjournalisten Seymour Hersh an die Öffentlichkeit, wofür er 1970 den Pulitzer-Preis erhielt. Durch den massiven Einsatz des chemischen Entlaubungsmittels „Agent Orange“ im Vietnamkrieg kommen auch heute noch viele Neugeborene in Vietnam mit schweren Fehlbildungen oder Erkrankungen zur Welt. Von den Spätfolgen sind etwa zwei bis vier Millionen Menschen betroffen, mindestens 100.000 Kinder wurden mit Behinderungen geboren. Außer den schweren Fehlbildungen gelten mehr als 20 Krankheiten als direkte Folge von Agent Orange, darunter Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Wirbelsäulenspalten, Immunschwächen, Nervenleiden, Diabetes und Parkinson.

Chemische Kampfstoffe wurden auch vom Irak unter Saddam Hussein im Ersten Golfkrieg (1980–1988) gegen den Iran eingesetzt, wobei die USA und andere westliche Staaten (unter anderem auch Deutschland) noch dazu das technische Gerät und das Know-how mit einbrachten. Der Einsatz von Chemiewaffen gegen den Iran wurde von den westlichen Medien damals nicht thematisiert, der internationale Aufschrei blieb aus. Stattdessen stellten sich die USA an die Seite des Irak, was seinen Höhepunkt im April bis Juli 1988 fand, als die USA offen in die Kampfhandlungen eingriffen, mehrere iranische Schnellboote und Ölplattformen versenkten und ein iranisches Passagierflugzeug (Iran Air Flug 655) – gefüllt mit iranischen Zivilisten – abschossen.

Die westliche Menschenrechtsrhetorik wurde in den letzten Jahren auch dazu benutzt, um zahlreiche Interventionen und Kriege in muslimischen Ländern zu rechtfertigen – man denke nur an den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak 2003, die Ereignisse in Afghanistan, Libyen, Somalia oder Syrien. US-Soldaten halten sich bis heute völkerrechtswidrig in Syrien auf (da es kein UN-Mandat gibt und die legitime syrische Regierung die Anwesenheit ablehnt). Der frühere US-Präsident Trump gab wenigstens zu, dass die US-Soldaten nur wegen des Erdöls dort seien, Obama und Biden bemühen die Menschenrechte.

Es stellt sich die Frage, warum die USA für all diese Verbrechen nicht vor der UNO oder einem internationalen Gerichtshof verurteilt worden sind. Zum einen liegt dies natürlich daran, dass die USA als größte Militärmacht der Welt mit der gewohnten Arroganz vorgehen können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, und in der UNO über ein Vetorecht verfügen. Der US-Jurist Benjamin Ferencz, der im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess nach dem 2. Weltkrieg Beweise sammelte, und im Prozess gegen den SS-General Ohlendorf als Chefankläger auftrat, äußerte sich im Jahr 2011 im Alter von 92 Jahren wie folgt: „Es ist für mich sehr enttäuschend zu sehen, dass meine Regierung heute bereit ist, etwas zu tun, wofür wir Deutsche als Kriegsverbrecher gehängt haben.“[6] Ferencz bezog sich damit auf die Tatsache, dass deutsche Politiker und Generäle nach dem 2. Weltkrieg wegen des Straftatbestands „Verbrechen gegen den Frieden“ beziehungsweise „Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen“ zum Tode verurteilt und gehängt wurden.

Die USA leisteten heftigen Widerstand gegen den Aufbau eines Internationalen Strafgerichtshofes[7] und waren seit der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) darum bemüht zu verhindern, dass sich jemals US-Präsidenten oder Militärangehörige vor dem IStGH verantworten müssen. Die Washington Post brachte den Grund auf den Punkt: „Was wäre, wenn solch ein Gericht […] bevollmächtigt gewesen wäre, eine Aggression als Kriegsverbrechen zu untersuchen, als US-Truppen 1983 in Grenada oder 1989 in Panama ungebeten einfielen und die Regierung auswechselten? Was wäre das Schicksal des US-Kriegsschiffes Vincennes gewesen, nachdem es 1998 eine iranische Passagiermaschine über dem Persischen Golf abgeschossen und damit 290 Zivilisten getötet hatte […]?“[8]

Im Jahr 2002 verabschiedete der US-Kongress das „American Service-Members Protection“ („Schutzgesetz für amerikanische Dienstangehörige“), das den US-Behörden nicht nur jede Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof verbietet, sondern den Präsidenten der USA sogar dazu ermächtigt, US-Staatsbürger, die sich in Den Haag vor dem IStGH verantworten müssten, unter militärischem Einsatz zu befreien.[9] Das heißt nichts anderes, als dass man tatsächlich die Unverfrorenheit besitzt, dem IStGH mit Gewalt zu drohen, falls man dort auf die Idee käme, jemals einen US-Bürger anzuklagen. Die Qualitätsmedien hierzulande hüllten sich in Schweigen. Man stelle sich einmal vor, Russland oder der Iran hätten ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Was wäre da wohl los gewesen? Der Aufschrei hätte sicherlich jedes entlegene Dorf auf der Welt erreicht.

Warum sollte man angesichts dessen noch die westliche Menschenrechtsrhetorik ernst nehmen? Der Westen hätten ausreichend damit zu tun, vor der eigenen Tür zu kehren und wäre jahrelang damit beschäftigt, seine eigenen Verbrechen aufzuarbeiten. Stattdessen präsentieren sie sich als Schützer der Menschenrechte und kritisieren ununterbrochen andere Staaten wegen angeblicher Menschenrechtsverbrechen.

 

1-Ganser, Imperium USA 2020, S. 23 ↩︎

2-Mausfeld, Rainer: Warum schweigen die Lämmer? Westend 2018, S. 33 ↩︎

3-Blum, William: Schurkenstaat, Kai Homilius Verlag 2008 ↩︎

4-Vgl. Ganser, Illegale Kriege, S. 135 ff. ↩︎

5-Ganser, Illegale Kriege 2017 (5. Auf.), S. 135-137 ↩︎

6-Ferencz, Benjamin, zitiert nach Ganser, Illegale Kriege, S. 44 ↩︎

7-Vgl. Ganser, Illegale Kriege 2017, S. 45 ↩︎

8-Lippman, Thomas: „America Avoids The Stand“. The Washington Post, 26.7.1998 ↩︎

9-Vgl. ebenda, S. 48 ↩︎

 

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